Beschreibung
„Wenn mein Lepraprogramm schiefgegangen wäre wie die Welt, die Gott geschaffen hat, dann hätte ich mir einen Experten bestellt.“ – Dass die Welt so ist, wie sie ist, blieb für Ruth Pfau lebenslang die große Herausforderung. Experten, die mit ihrem Knowhow alles lösen könnten, gibt es nicht. Es gilt also, sich dem auszusetzen, was ist: Erdbeben und Flutkatastrophen, Seuchen und Krankheiten – auch dem von Menschen verursachten Leiden, Unrecht, Terror. Das Böse, das Menschen einander antun, die Fähigkeit zum Schrecklichen, das ist für sie die andere, dunkle Seite unserer Freiheit. Einer Freiheit, zu der freilich auch die Fähigkeit zum Lieben gehört. Und die Freiheit, etwas zu tun – und Wunder nicht nur zu sehen, sondern auch möglich zu machen. Ihre Devise: nicht irgendwann damit anfangen, wenn die Umstände vielleicht erfolgversprechender sein werden. Sondern jetzt. Sich nicht nur darauf verlassen, dass anderes es schon richten werden. Sondern sich ansprechen lassen, von dem, was einem in den konkreten Menschen begegnet. Mitfühlen und handeln. Hinsehen, nicht gleichgültig bleiben gegenüber der offensichtlichen Not eines anderen. Helfen, Leiden verhindern, die Ursachen angehen, sich in die Pflicht nehmen lassen, Leben ermöglichen und fördern: Darum geht es Ruth Pfau. Liebe – als bedingungslose Zuwendung, als Bejahung des anderen ohne jeden Vorbehalt, eintreten aus der Zentriertheit auf das eigene Ich: das bleibt dabei freilich die entscheidende Tatsache.
„Ich bin zu jung.“ „Ich bin zu alt.“ Diese Ausreden ließ sie nie gelten. Damals nicht, als sie als junge Ärztin in Karachi vor einem unüberwindlich scheinenden Berg von Problemen stand. Und auch dann nicht, wenn ihr Menschen entgegenhielten: Was Sie tun, das ist doch alles nur ein Tropfen auf dem heißen Stein … Wer sich als Junger nicht auf die Herausforderungen einlässt, an dem geht das Leben vorbei. Und alt werden, sagt Ruth Pfau, heißt einen neuen Weg gehen und neue Erfahrungen machen. „Gemessen an der Ewigkeit sind ja auch 80 Jahre erst der Anfang.“ Vielleicht ist es das, was – wenn schon nicht jung, so doch lebendig hält. „Wann, wenn nicht jetzt? Wer, wenn nicht ich?“ Eine Weisheit, die einem jüdischen Weisen zugeschrieben wird. Ruth Pfau würde das unterschreiben, nicht als Frage, sondern als Feststellung: Leben heißt anfangen. Jetzt. Worauf warten wir noch?